Sport
Eismeister Zaugg

Eishockey-WM: Kanadas Hockey-Welt geht unter – und Ehlers ist der Held

Denmark's head Mikael Gath, rear center, his staff, and players react after their 2-1 win in a quarterfinal game between Canada and Denmark at the hockey world championships, Thursday, May 22, 20 ...
Die Dänen jubeln nach dem sensationellen Sieg.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Kanadas Hockey-Welt geht unter – und ein Held spricht Berndeutsch

Dänemark beschert Kanada die schmählichste WM-Niederlage seiner Geschichte und katapultiert die Schweiz im WM-Halbfinal in die Favoritenrolle. Verrückt: Nach Österreich im Viertelfinal spielt die Schweiz nun auch im Halbfinal gegen einen – vermeintlich – Kleinen des Welthockeys.
23.05.2025, 06:4523.05.2025, 14:46
klaus zaugg, Herning
Mehr «Sport»

Der Mann steht sichtlich unter Schock. Nathan MacKinnon, Superstar in der wichtigsten Liga der Welt mit einem Vertrag über acht Jahre im Wert von 100,80 Millionen Dollar, zweitbester NHL-Skorer dieser Saison, spricht in der Mixed-Zone freundlich in kurzen, abgehackten Sätzen. Er scheint das Unfassbare, Undenkbare noch nicht in Worte fassen zu können. «Das gegnerische Team war gut… die haben sich an einen Gameplan gehalten… so kann Hockey sein.» Keine Ausreden. Also ein Gentleman. Auf die Frage, ob der Gegner unterschätzt worden sei, sagt er leise: «Nein, wir haben ja die Partie gut begonnen.»

Das Unfassbare, das Undenkbare: Kanada, das einzige Land, das Eishockey als Nationalsport in seiner Verfassung festgeschrieben hat, mit mehr als 400'000 registrierten Spielern, die Nummer 1 der Weltrangliste, 28 WM-Titel, 53 WM-Medaillen, hat gegen Dänemark 1:2 (0:0, 0:0, 1:2) verloren. Gegen das Nationalteam eines Landes, in dem Eishockey hinter Fussball und Handball ein Schattendasein führt, mit nur etwas mehr als 8000 lizenzierten Spielern, die Nummer 11 der Weltrangliste und noch nie im Halbfinal. Die Schmach von 1949 ist getilgt: Damals hatte Dänemark bei der WM in Stockholm gegen Kanada 0:47 (0:13, 0:16, 0:18) verloren.

Die Torschussstatistik dokumentiert die Dramatik: Die Kanadier dominierten zwar mit 40:33 Abschlüssen. Aber aufgeschlüsselt nach Dritteln erkennen wir den Zusammenbruch des Teams: 18:4 im ersten, 12:7 im zweiten und 10:22 im letzten Abschnitt. Die Dänen haben die Kanadier in der Schlussphase geradezu überrollt. Sie gerieten wie in einen Spielrausch, glichen 2:17 Minuten vor dem Ende aus und erzielten 49 Sekunden vor Schluss den Siegestreffer. Die Kanadier mit nur zwei Spielern, die keine NHL-Profis sind, finden kein Mittel gegen die Dänen, die nur zwei NHL-Profis in ihren Reihen haben.

Oft sind solche Sensationen auch ein wenig dem Zufall geschuldet. Allen ist klar, dass die Partie, könnte sie wiederholt werden, in 99 von 100 Fällen vom Favoriten gewonnen würde. Wie bei der sensationellen 2:3-Niederlage der Schweden gegen Weissrussland im olympischen Viertelfinale von 2002 in Salt Lake City. Oder beim blamablen Scheitern der Schweden im WM-Viertelfinal von 2023 gegen Lettland (1:3). Der Favorit hatte mit 40:11 (13:8, 12:1, 15:4) Torschüssen dominiert.

Aber diesmal ist es anders. Der Sieg des Aussenseiters ist logisch. Weil er in der Schlussphase den Titanen dominiert. Der Sieg wird nicht mit Glück, mit Bangen und Hoffen, mit Zähnen und Klauen über die Zeit gezittert. Der Sieg wird in einem finalen Spielrausch herausgespielt, erzwungen. Das hat es so bei Sensationen im Hockey noch nie gegeben.

Canada players react after a quarterfinal game between Canada and Denmark at the hockey world championships, Thursday, May 22, 2025, in Herning, Denmark. (Bo Amstrup/Ritzau Scanpix via AP)
Denmark Hoc ...
Die Kanadier kassierten eine bittere Niederlage.Bild: keystone

Haben die Kanadier ihren Gegner unterschätzt. Ja, das haben sie. Die Dominanz in der Startphase verstärkt noch ihre Arroganz. Und dann ist es nicht mehr möglich, die Einstellung zu ändern. Je länger das Spiel dauert, desto mehr zeigen sich beim himmelhohen Favoriten erst Verärgerung, dann Frustration und schliesslich resignierende Ratlosigkeit.

Der Kollaps in der Schlussphase hat vielleicht einen trivialen Grund: Schlafmangel. Einige Spieler suchten das Hotelbett erst am Spieltag auf. Sie rockten am Vorabend bis nach Mitternacht noch ein wenig durchs nicht gerade aufregende Nachtleben von Herning. Namen gehören nicht in die Öffentlichkeit und sind in diesem Fall nur aufs Dress aufgenähte Buchstaben.

Als ob der Abend nicht schon verrückt genug gewesen wäre, spricht nun einer der Helden auch noch Berndeutsch. Nikolaj Ehlers hatte gegen Deutschland bereits das 1:1 erzielt und damit den Penalty-Erfolg ermöglicht. Jetzt hat er erneut zum 1:1 getroffen.

Denmark IIHF Hockey Worlds: Canada vs. Denmark Nikolaj Ehlers, Denmark reacts after scoring til 1-1 during the quarter-final match between Canada and Denmark at the IIHF Ice hockey, Eishockey World Ch ...
Nikolaj Ehlers jubelt nach dem Ausgleichstreffer.Bild: www.imago-images.de

Er plaudert fröhlich in Berndeutsch mit dem Chronisten. Von 2007 bis 2013 hat er den ersten Schliff bei Biels Junioren bekommen (sein Vater Heinz Ehlers war Trainer in Biel). Er besitzt deshalb eine Schweizer Lizenz und würde in unserer Liga nicht als Ausländer gelten. Früh zeigte sich, dass aus ihm etwas werden würde. In seiner besten Juniorensaison in Biel hat er in 25 Partien 62 Punkte gebucht.

Nun ist er ein Star in der NHL und wenn immer möglich eilt er zur WM. «Ich liebe diese Mannschaft einfach und will das Erlebnis einer WM nicht missen.» Zum Spiel sagt er: «Wir waren überzeugt, dass wir eine Chance haben, wenn uns ein perfektes Spiel gelingt. Am Anfang hatten wir Mühe. Aber nach der ersten Pause setzten wir unser Spiel durch. Wir haben die Kanadier auf die Aussenbahnen abgedrängt und ihnen in der Mitte keinen Raum gelassen. Natürlich hat unser Goalie einige grosse Paraden gezeigt. Aber alles in allem haben wir nicht viele Torchancen zugelassen.»

Seine Bieler Vergangenheit habe er nicht vergessen. Ja, er sagt: «Biel wird immer in meinem Herzen sein.» Im Halbfinal trifft er auf Nino Niederreiter, seinen Teamkollegen in Winnipeg. «Ich hatte mit Nino noch keinen Kontakt. Aber ich bin sicher, dass er mir inzwischen schon ein paar Nachrichten geschickt hat …»

Mit Nicklas Jensen ist noch ein «Schweizer» dabei. Er stürmt schon seit drei Jahren für die Lakers. Anders als Nikolaj Ehlers kann er nach wie vor fast nicht fassen, was er da soeben erlebt hat. Tatsächlich wird er von einem Spassvogel gefragt, ob das jetzt fast so sei wie ein Meistertitel mit den Lakers. Da wird er fast ein wenig verlegen, mag dies weder verneinen noch bestätigen und ist einfach überglücklich.

Und nun also der Halbfinal gegen die Schweiz. Die «Jahrhundert-Chance» für eine WM-Finalqualifikation, die vielleicht in den nächsten hundert Jahren nicht wiederkehren wird. Natürlich wird Nikolaj Ehlers gefragt, was er zu den Schweizern sage. Da zeigt sich, dass er den feinen Sinn für Humor und die Schlagfertigkeit seines Vaters hat. Er grinst, lächelt und sagt: «Super! Die Schweizer sind super!»

Ja, so ist es. Die Schweizer sind super. Und nun steht definitiv fest: Patrick Fischer ist ein grosser Trainer. Er hat nämlich auch Glück. Der grosse Napoleon, der etwas von Führung verstand, wollte nur eines wissen, wenn ihm ein Offizier zur Beförderung vorgeschlagen wurde: «Hat der Mann auch Glück?»

Patrick Fischer, head coach of Switzerland national ice hockey team, speaks with to media in the mixed zone, after a Switzerland training session one day before the IIHF 2025 World Championship quarte ...
Patrick Fischer und die Hockey-Nati treffen nun auf Dänemark.Bild: keystone

Patrick Fischer wäre unter Napoleon nach dieser WM nicht nur General, er wäre Marschall geworden. Denn die Schwingen der Glücksgöttin haben ihn gestreift. Mit sechs Spielen hintereinander gegen die vermeintlich «Kleinen» – Deutschland, Norwegen, Ungarn, Kasachstan, Österreich und nun Dänemark am Samstag – kann er den Final erreichen.

Wie verrückt diese Halbfinal-Paarung ist, mag eine kleine Episode illustrieren. Nach dem 6:0 gegen Österreich ist noch offen, wer der Gegner der Schweizer im Halbfinal sein wird. Also wird Patrick Fischer die unvermeidliche Frage gestellt: «Wer ist der Wunschgegner im Halbfinal?» Er überlegt kurz und sagt, das könne er nicht sagen, er habe sich damit noch nicht befasst. Aus dem Hintergrund ruft ein Chronist aus dem Tessin: «Doch sicher Dänemark, oder?» Patrick Fischer lächelt kurz ungläubig und sagt nichts. Was sollte er denn auf eine solche scherzhafte Bemerkung sagen? Ein Sieg von Dänemark gegen Kanada – undenkbar.

Die Schweizer haben nach 1992, 1998, 2013, 2018 und 2024 zum 6. Mal den WM-Halbfinal erreicht und finden sich gegen Dänemark zum ersten Mal überhaupt in der Favoritenrolle wieder. Zumindest theoretisch. In der Gruppenphase haben sie Dänemark trotz eines zwischenzeitlichen 1:2 Rückstandes und eines Gegentreffers in Überzahl sicher 5:2 gewonnen.

epa12089807 Tyler Moy of Switzerland celebrates with his teammates after scoring the 2-3 goal during the 2025 IIHF Ice Hockey World Championship group B match between Denmark and Switzerland in Hernin ...
In der Gruppenphase setzten sich die Schweizer gegen Dänemark durch.Bild: keystone

Aber das zählt nicht mehr. Gelingt den robusten Dänen noch einmal ein ähnlich perfektes Spiel wie gegen Kanada, dann geraten wir in Not. In höchste Not. In allerallerhöchste Not. Die Schweizer müssen am Samstag das sein, was Nikolaj Ehlers über sie sagt: Sie müssen super sein.

Anders als eine Pleite gegen Österreich im Viertelfinal wäre eine Niederlage im Halbfinal gegen Dänemark keine Schmach. Aber eine bittere Enttäuschung. Noch in zehn Jahren würden wir hin und wieder mit einem Anflug von Melancholie sagen: «Ach, wie schade, dass wir damals 2025 in Stockholm die Chance auf den Final gegen die Dänen nicht genützt haben! Wir wären ganz sicher Weltmeister geworden…»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
1 / 13
HCD, SCB, ZSC und? Diese Klubs wurden schon Schweizer Hockey-Meister
HC Davos: 31 Titel, 6 seit 1986; zuletzt Meister: 2015.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Despacito mit Eishockey-Spielern
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
46 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Menon
23.05.2025 08:50registriert Februar 2014
Danke Eismeister an dieser Stelle für deinen Einsatz und den vielen Content den du uns an diesem Turnier lieferst. Ob man mit einem Beitrag und deiner Meinung einverstanden ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle, es ist immer unterhaltsam und gut geschrieben. Ich hoffe du bleibst uns noch eine Weile erhalten. Hopp Schwiz! Packen wir die Dänen am Samstag!
457
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bruno Wüthrich
23.05.2025 08:10registriert August 2014
Am Beispiel Dänemark sieht man, was im Eishockey alles möglich ist. Da gibt es keine unerreichbaren Mannschaften mehr. Nicht für Dänemark, und schon gar nicht für die Schweiz. Ergo kann die Schweiz genauso gut Weltmeister werden (selbst in einem Final gegen Schweden), aber auch gegen Dänemark scheitern.

Die Schweiz ist längst gut genug, um gegen die Besten der Welt in deren Bestbesetzung zu gewinnen. Schweden, Kanada, USA, Finnland, Tschechien - alles schlagbare Gegner. Aber Siege gegen Länder wie Dänemark sind keine Selbstverständlichkeit mehr.

Die Schweiz ist gegen Dänemark gewarnt.
365
Melden
Zum Kommentar
46
    Dänemark schockt Kanada und trifft auf die Schweiz – Schweden bezwingt Tschechien
    Was für eine Sensation! Dänemark schafft an der Heim-WM das Unmögliche und schlägt Topfavorit Kanada im Viertelfinal 2:1. Im Halbfinal vom Samstag (18.20 Uhr) treffen die Dänen auf die Schweiz. Den anderen Halbfinal bestreiten die USA und Schweden.

    Wovon Österreich am Nachmittag in Herning gegen die Schweiz im mit 0:6 verlorenen Viertelfinal meilenweit entfernt war, schaffte Stunden später Dänemark gegen den Rekordweltmeister Kanada: die faustdicke Überraschung!

    Zur Story